„Plurale Religionspädagogik – Vielfalt und Begegnung“
Gemeinsames Konzept der Fachschaften katholischer, evangelischer und islamischer Religionsunterricht an der Elisabeth-Seibert-Gesamtschule Bonn.
„Eine Religionspädagogik, die zur Wahrnehmung und zum Verstehen religiöser Pluralität und zur Anerkennung der mit Religionen verbundenen Ansprüche auf Heil und Wahrheit anleiten möchte, überwindet eine auf Abgrenzung bezogene Deutung von Unterschieden und zielt auf die Entwicklung einer Gemeinschaft, in der Unterschiede ihre trennende Wirkung verlieren. Wir verfolgen einen Ansatz, der es erlaubt, Religion zu vermitteln, ohne dabei zwangsläufig andere Formen herabzuwürdigen. Vielmehr geht es uns um eine positive Wertung der Vielfalt der Religion.“
(Dialog und Transformation. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Religionspädagogik, Bonn 2020, S. 7 / Diskussionspapier “Dialog und Transformation. Auf dem Weg zu einer pluralistischen Religionspädagogik” — bibor [uni-bonn.de])
Die Fachschaften der evangelischen, katholischen und islamischen Religion tagen an der ESG gemeinsam. In ihrer Auseinandersetzung zwischen Praxis und Theorie entwickelte die Fachschaft das Konzept „Vielfalt und Begegnung“, nach dessen Maßstäben Veranstaltungen und Unterricht an der ESG durchgeführt werden.
Religionen können Möglichkeiten, Perspektiven und Wege zur Transzendenz bieten. Eine pluralistische Position ist hierbei von Wertschätzung geprägt. Sie ist keine bloße respektvolle Duldung des anderen. Vielmehr setzt die pluralistische Position eine tiefe Auseinandersetzung mit der Position des anderen und damit auch der eigenen Position voraus. Die Wahrheits- oder Wahrhaftigkeitsfrage wird nicht weggedrückt, sondern sie ist der Antrieb in der Auseinandersetzung mit dem anderen.
Wenn Martin Buber (1878-1965) in seinem 1923 erschienen Buch „Ich und Du“ davon spricht, dass „der Mensch am Du zum Ich“ wird, dass „jedes einzelne Du ein Durchblick zum Ewigen Du“ ist, so finden sich hier zahlreiche Gemeinsamkeiten in den Ausführungen islamischer Denker und Theologen wie z.B. Ibn Arabi oder Rumi.
Aus pluralistischer Sicht gilt es, die eigenen Positionen auch durch den Blick des anderen, durch den Perspektivwechsel, zu schärfen.
Somit ist der bekenntnisorientierte Religionsunterricht weiterhin eine „Beheimatung“ und bietet Orientierung. Gleichzeitig finden aber regelmäßig Begegnung und Austausch statt.
Neben Kooperationen der einzelnen Lehrkräfte bei bestimmten Themen gibt es festgelegte Eckpunkte, an denen Begegnung erprobt und eingeübt werden kann.
Dabei gilt es formal vier Ebenen zu unterscheiden: bekenntnisorientiert, interreligiös, religionskundlich, spirituell.
1. Bekenntnisorientiert
- Feierlichkeiten zu bestimmten Anlässen: z. B. Weihnachten, Ostern, Ramadan- oder Opferfest, Pessach oder Sukkot (Laubhüttenfest), Newroz, Holi-Fest. Hierbei zählt das „Gästeprinzip“. Eine Religionsgemeinschaft lädt ein. Wichtig ist hierbei die Freiwilligkeit. Auf Kinder und Jugendliche ist kein Druck auszuüben. Niemand kann zur Teilnahme verpflichtet werden. Bei Schülern*innen unter 14 Jahren zählt das Einverständnis der Erziehungsberechtigten.
- Fächerübergreifender Unterricht/Projekte zu gemeinsamen Themen.
2. Interreligiös
- „Forum Religion“ (Jg. 5-7): pro Halbjahr findet in jeder Jahrgangsstufe jeweils eine gemeinsame religiöse ‚Feier‘ während einer Religionsstunde statt. Während dieser Begegnung kommen die Schüler*innen aus dem katholischen, evangelischen und islamischen Religionsunterricht zusammen. Die Begegnungen stehen jeweils unter einem bestimmten Motto. Hier eine kleine Auswahl bisheriger Mottos: „Gemeinsam auf dem Weg (mit Abraham/Ibrahim)“ (Jg. 5), „Bewahren der Schöpfung“ (Jg. 6), „Interreligiöse Singfeier“ (Jg. 6), „Vom Sinn des Lebens“ (Jg. 7), „Die Synagoge“ (Jg. 7)
- Abschiedsgottesdienst vor den Ferien
Diese Veranstaltungen werden gleichberechtigt von allen beteiligten Religionsgemeinschaften vertreten und thematisch vorbereitet. Die Schülerinnen der verschiedenen Lerngruppen bringen sich mit Gedichten, Vorspielen u.a. ein. Es werden Fürbitten und Bittgebete gesprochen; Lesungen aus der Bibel, dem Koran oder anderer Schriften finden statt. Sehr wichtig ist, dass ritualisierte Elemente aus den Religionen während der Feier kenntlich gemacht werden und für die Schülerinnen unterscheidbar sind!
Lieder aus verschiedenen Traditionen werden gemeinsam gesungen. Dabei ist darauf zu achten, dass die in den Liedern vertretenen textlichen Inhalte nicht gegen Glaubengrundsätze beteiligter Religionsgruppen verstoßen.
3. Religionskundlich
- „Orte des Glaubens“ (Jg. 6): An diesem Tag besuchen alle Klassen des Jahrgangs im Klassenverband abwechselnd eine katholische Kirche, eine evangelische Kirche und eine Moschee. Die Schüler*innen erhalten ein „Forschertagebuch“ mit verschiedenen Aufgabenstellungen an die Hand. An dem Projekt ist auch die Fachschaft „Praktische Philosophie“ (PP) beteiligt, die mit einem eigenen Kapitel im Forschertagebuch vertreten ist.
- „Likrat“ (Sek1, Sek2): Das Dialogprojekt „Likrat“ des Zentralrates der Juden vermittelt junge Menschen aus der jüdischen Tradition an Schulen, um dort über das Judentum und jüdische Identität zu informieren und um sich mit den Schülerninnen auszutauschen. Die Schülerinnen und Studenten*innen wurden für diese Aufgabe ausgebildet. Regelmäßig finden über das Likrat-Projekt „peer-to-peer“-Veranstaltungen an unserer Schule statt. Das Likrat-Projekt wurde von einer Erdkundelehrerin der Schule initiiert und wird von den Fachschaften der Religionsunterrichte unterstützt.
- Besuch der Synagoge. Die örtliche Synagoge wird meist während des Jg. 7 besucht.
4. Spirituell
- Abschluss-/Verabschiedungsfeier/Abiturfeier: Diese Feiern sollen für alle ermöglicht werden. Deshalb gibt es keine explizit bekenntnisorientierten Elemente. Dennoch steht die Feier in einem spirituellen, sinnstiftenden Kontext. Wege in die Zukunft, Lebensabschnitte, Sinnfragen können thematisiert werden.
BK