(7.3.2012) Mag sein, dass die Johannespassion von Bach für Schülerinnen und Schüler zunächst etwas sperrig erscheint. Die Musik erscheint für viele wie von einem anderen Stern. Ganz zu schweigen vom Text der Passion, der Leid und Tod Jesu Christi behandelt. Es geht also nicht zuletzt auch um Gewalt und Verrat, um Themen also, die etwa auf dem Schulhof oder im Klassenzimmer unter dem Label „Mobbing“ eine Rolle spielen, wie Schulleiterin Andrea Frings verdeutlicht. Wahrlich keine leicht verdauliche Kost. Unbeirrte Pädagogen geben sich deshalb aber noch lange nicht geschlagen. Um die Johannespassion an junge Leute zu bringen, hat sich die Schule nämlich etwas Besonderes einfallen lassen.
Auf den Spuren von Klassik und klassischer Moderne
Sie hat am 2. März 2010 zwei spannende Projekte an einem außerschulischen Ort, dem Rheinischen Landesmuseum, zusammengeführt. An dem einen Projekt, dem Schulchor, der die Johannespassion aus Sicht der Elisabeth-Selbert-Gesamtschule musikalisch repräsentiert, beteiligen sich rund 12 jüngere Schüler des fünften und sechsten Jahrgangs. In einem weiteren Projekt der Klasse 8d geht es darum, den Textgehalt der Johannespassion aus heutiger Sicht verständlich zu machen. Was eignet sich besser dazu als der Besuch eines Museums, in dem klassische Werke der Moderne, in bildlich einprägsamer Gestalt die Themen der Passion aufgreifen?
Um die beiden Projekte an Ort und Stelle mit dem Ziel zusammenzubringen, die aktuellen Bezüge der Johannespassion schülergerecht aufzuarbeiten, war es erforderlich, dass der Dirigent des Philharmonischen Chores, Thomas Neuhoff, und die Lehrerinnen Margret Krieghoff-Jüngling und Eva de Voss ihr jeweiliges Wissen, pädagogisches Handwerkszeug und ihre Perspektive einbrachten. Während die Schüler des fünften und sechsten Jahrgangs um Andreas Tiggemann mit der musikalischen Seite der Johannespassion bereits wohl vertraut und nun aufgefordert waren, sich mit deren Inhalt zu befassen, beschäftigte sich Klasse 8d mit dem gleichen Thema in Gestalt von kreativen Texten. Hierzu wurden sie durch die Kunstgemälde, etwa der Neuen Sachlichkeit, die während der überaus gewaltträchtigen und extremen Zwischenkriegszeit entstanden, sowie über eine bedrängend wirkende Installation zum Thema Holocaust angeregt.
„Den Prozess der Gefühle in Worte fassen“
Die Atmosphäre des Rheinischen Landesmuseums, mit ihrer Aura des sowohl Erhabenen wie Meditativen, verfehlt ihre Wirkung auf die Schülerinnen und Schüler nicht. Ging von der gemischten Schülergruppe zunächst eine gewisse Hibbeligkeit aus, verwandelt sich das Geschehen alsbald und es breitet sich eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre aus. Die Kinder und Jugendlichen sitzen nun auf dem Boden und gehen geradezu versonnen ihrer Aufgabe nach, die darin besteht, Assoziationen zum Thema Gewalt und Tod zu erarbeiten. Anlass ist die Installation „Schwarzes Loch“, die sich mit dem Thema Holocaust beschäftigt.
Wer die Installation betritt, die die Besucher wie in den Schlund eines dunklen Verhängnisses zu führen scheint, erlebt eine Mischung aus Schaudern und kosmischem Gefühl, das auch daher rührt, dass man das Gefühl hat – aufgrund der durchsichtigen Perspektive nach unten – den Boden unter den Füßen zu verlieren: Eine Mischung aus Fallen und Schweben entsteht. Jetzt könnte man sogar eine Stecknadel fallen hören, so tief rührt die Installation die Gemüter der Schülerinnen und Schüler. Ihre Gedanken und Gefühle bringen sie auf dem Boden sitzend auf Zetteln wie „Weltall“, „Angst“ oder „Machtgelüste“ auf den Begriff. Die Intensität des Lernprozesses rührt daher, dass die Schüler an der Schnittstelle zwischen Musik und moderner Kunst eine tiefere Einsicht in das Werk von Johann Sebastian Bach bekommen. „Sie können den Prozess der Gefühle in Worte fassen“, erläutert Andrea Frings. Ihr sei es ein wichtiges Anliegen, den Schülern musikalische Angebote zu unterbreiten, die sich jenseits des Mainstream bewegen.
„Es kommt auf mich selbst an“
Margret Krieghoff-Jüngling weiß zu berichten, dass die bisherige Qualität der Arbeiten sehr hoch zu bewerten sei, da künstlerisch hohe Ansprüche an die Schülerinnen und Schüler gestellt würden: „Es kommt auf mich selbst an“, dies werde den Schülern im Projekt klar vor Augen geführt. Während Klasse 8d den außerschulischen Lernort im Rahmen des Deutschunterrichts sowie des Schulmottos „Schau hin, zeig Courage“ aufsucht, basieren die Aktivitäten des fünften und sechsten Jahrgangs auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.
Ihr Lohn für den Besuch des Landesmuseums und die Teilnahme am Philharmonischen Chor lässt allerdings auch nicht auf sich warten. Am Freitagnachmittag hatten unsere Schüler Gelegenheit, erstmals an einer gemeinsamen Probe mit dem Philharmonischen Chor teilzunehmen, an der sich insgesamt 39 Schülerinnen und Schüler aus Bonner Schulen beteiligten. Für jene, die nicht die Gelegenheit hatten, den Proben beizuwohnen, sei der Besuch Konzertes und der parallelen Vorstellung der Projektergebnisse am Sonntag, den 18. März, ab 19 Uhr in der Abteikirche Maria Laach empfohlen. (ZF)